Gegen das Vergessen
Dies ist das Motto, das schon seit vielen Jahren Motiv ist, an die Gräuel des Holocausts - die Shoah - zu erinnern.
Die Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht finden seit vielen Jahren immer wieder unter Beteiligung von Schülern der Geschichtswerkstatt der Realschule Korschenbroich und des Gymnasium Korschenbroich statt.
Diese Idee, sich der Geschichte zu erinnern um der Zukunft willen, wurde nun mit einer besonderen Lesung in der Aula des Gymnasiums Korschenbroich für SchülerInnen der 10. Klassen der Realschule und des Gymnasiums Korschenbroich lebendig. Regine Saus, Lehrerin am Gymnasium Korschenbroich, begrüßte Ruthy Sherman und Lea Floh sowie die Gäste und die Schüler der beiden Schulen im Namen der Stadt und der Schulleitungen und wies auf eine bewegende und nicht alltägliche Veranstaltung hin.
Die Tochter von Hilde Sherman – Ruthy Sherman – erzählte vor Schülern, vor Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Mönchengladbach, Mitgliedern und Freunden der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Gästen aus Korschenbroich vom Leben ihrer 2011 verstorbenen Mutter Hilde Sherman.
In eindrücklicher Weise schilderte Ruthy Sherman, wie das Überleben im KZ sich auf das spätere Leben auch in der Familie auswirkte. Um diesen Teil der Lebensgeschichte zu verarbeiten und besser in ihr „Leben danach“ zu integrieren, griff die Mutter den Rat eines Arztes auf und schrieb ihre Geschichte nieder, die dann zum Buch „Zwischen Tag und Dunkel“ führte.
In den bewegenden Erzählungen, die auch die Tochter immer wieder zum Einhalten zwang, wurde Weltgeschichte im lokalen Bezug spürbar:
Hilde Sherman (1923–2011) entstammte einer jüdisch-orthodoxen Familie, die von Spanien über Holland nach Deutschland kam und 400 Jahre in und bei Mönchengladbach-Wickrathberg lebte. 1933 war sie gerade zehn Jahre alt. Einfach und lakonisch, aber umso erschütternder beschreibt sie die Judenverfolgung im Rheinland. Im Dezember 1941, als die systematische Deportation von Jüdinnen und Juden aus Deutschland begann, meldete sie sich freiwillig zum Transport, um damit der Trennung von Kurt Winter, den sie Tage vor der Deportation der Familie Winter noch geheiratet hatte(aus Korschenbroich /Einfügung HJK) zu entgehen. Kurt starb im Außenlager Salaspils. Im Ghetto von Riga vegetierte Hilde Sherman bis Oktober 1944 in der ständigen Nähe des Todes, erlebte die Ermordung ihrer gesamten Familie und all ihrer Freunde sowie die Ausrottung ganzer Lager. Nach Hamburg-Fuhlsbüttel verlegt, entkam sie erst Ende April 1945 dank der Intervention von Graf Folke Bernadotte nach Schweden, todkrank und bis auf die Knochen abgemagert. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt – und muss erst wieder lernen zu leben. (aus dem Text der Buchrückseite). Mit dem lettischen Juden Willy Sherman emigrierte sie nach Kolumbien und verbrachte ihren Lebensabend in Israel.
Aus dem Buch „Zwischen Tag und Dunkel – Mädchenjahre im Ghetto“ las die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Mönchengladbach, Lea Floh, die an der Aktualisierung des 1984 erstmals erschienenen Buchs beteiligt war, einige Abschnitte, die die Unmenschlichkeit und die Menschenverachtung bei der Behandlung der Gefangenen deutlich machten.
Lea Floh berichtet, dass die aktualisierte Neuauflage mit zahlreichen Bildern illustriert ist. Die Namen der Täter, die Hilde Sherman und ihre Mithäftlinge quälten, ausbeuteten und/ oder töteten, sind bekannt. In der ersten deutschen Ausgabe sind die Namen wohl noch nicht benannt – wie ich mir als Zuhörer denke, weil viele von Ihnen in der Nachkriegszeit noch in „Amt und Würden“ waren, und es vielleicht sogar gefährlich war, diese damals aufzuschreiben. In der jetzigen Neuauflage, die mit Unterstützung der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach herausgegeben wurde, nennt Hilde Sherman diese Namen. Bestraft wurde von den Tätern fast keiner!
Eine wichtige Botschaft durchzieht die Veranstaltung und wird von Ruthy Sherman und Lea Floh wiederholt erinnert: Begegnet Menschen mit Achtung und Respekt, denkt nach – sowas darf „Nie Wieder“ geschehen. Und Lea Floh verband dies mit der herzlichen Einladung bei einer der zahlreichen Führungen durch die renovierte Mönchengladbacher Synagoge, jüdisches Leben ein wenig mehr kennen zu lernen.
Autor: Hermann-Josef Kronen
17.10.2022